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SLIME "Hier und Jetzt"

Künstler/Band und Albumtitel: 

Erscheinungsdatum: 

09-2017

Label: 

Genre(s): 

Wenn es heutzutage um Punkbands hierzulande geht, die nicht nur sich selbst, sondern auch dem Punk Ding gegenüber treu und loyal geblieben sind, dann fällt der Name Slime definitiv. Sicher, Kultalben wie "Slime" (*1.981), "Yankees raus" (*1.982), "Viva la Muerte" (*1.992) oder auch "Schweineherbst" (*1.994) werden Slime selbst weder stumpf abkupfern/kopieren, geschweige denn je wiederholen, aber sie werden zumindest (vermutlich) immer so direkt auf den Punk-t bleiben, wie sie es immer waren, so viel ist sicher, auch bzgl. des neuen Albums "Hier und Jetzt". 

"Sich fügen heißt lügen" (*2.012) hat nun auch schon satte 5 Jahre, sprich ein halbes Jahrzehnt auf dem Buckel. Zwischenzeitlich ist jede Menge in der Welt zwischen Musik und Alltag passiert, die Welt hat sich mit immer mehr Schärfegrad(en) verändert. Es war also genau genommen eine rhetorische Zeirfrage wann Slime sich aufraffen würden, um ein neues Monument der Bestandsaufnahme (inkl. direkter Kritik) einzuspielen. Die Themvielfalt nährt sich auf "Hier und Jetzt" aus dem umgebenden Alltagswahnsinn - totaler Individualismus, extremer Narzissmus, Nazismus, der mediale Ausverkauf, Entsolidarisierung... wie gesagt der Themenpool ist quasi unerschöpflich, was sich auch in der Songanzahl dieses Albums niedergeschlagen hat. 

Das selbstauferlegte Ziel von Slime "Protestlieder" zu schreiben wollen geht dem Album als Novum voraus. "Unsere Lieder" (Track 1) passt da zielgemäß bereits vom Titel her bestens als Opener. Schon bei den ersten Tönen erkennt man Slime direkt wieder, was dank "Elf's" Gitarrenspiel und Dirk "Dicken" Jora's Stimme so ist. Stilistisch klingen Slime wieder etwas melodiöser, was allerdings der Eingängigkeit zuspielt. Das unterstreicht, dass Slime noch immer fähig sind den Finger in die klaffende Wunde der Gesellschaft und der damit einhergehenden  Verrohung legen - "Brandstifer" (Track 2), "Sie wollen wieder schießen (dürfen)" (Track 3; Anspieltip I). Letzterer dürfte den Slime Followern/Fans ja bereits bekannt sein. Die Feststellung "Geister kann man nicht erschießen." trifft den Nagel auf den Kopf, den man parallel genauso auch auf die amerikanische Politik beziehen kann, zumal Fremdenfeindlichkeit längst kein rein deutsches/europäisches Problem mehr ist. Dennoch kann man nicht verleugnen, dass hierzulande vieles an offener Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte versäumt wurde, was vor allem "Patrioten" (Track 4; Anspieltip II) ziemlich gut thematisiert, bei dem u. a. "Swiss" (*Swiss Und Die Andern) am Mikro zu Gast ist. 

Vereinzelt kommen Slime recht nah an das "Schweineherbst" Album bzw. "Viva la Muerte" ran - "Banalität des Bösen" (Track 5), womit sehr detailgenau die Stammtischmentalität umrissen wird, die mit Sätzen wie "Ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, aber..." beginnt. Nach dem "Aber" kommt meist nur geistiger Mist. Wenn man bei Menschen, die solche Sätze von sich abgeben, nachfragt wie sie sich denn den Wohlstand hierzulande erklären, naja - Ihr könnt es Euch denken. Ein Satz mit Aber denkt eben selten umfassend/komplett.

Ganz andere Themenwege geht das Albumtitelstück "Hier und Jetzt" (Track 6). Eine Halbballade, die man als Bandhymne sehen kann. Man muss Slime Respekt zollen seit satten 38(!) Jahren am Start zu sein (wenn auch mit kleinen Umwegen; auch diese führen bekanntlich zum Ziel und gehören dazu). 

Sofern ich richtig raushöre (leider liegt mir dazu, trotz Albuminfosheet, keine genaue Info vor), dürfte Gunnar Schröder von Dritte Wahl bei "Die Stummen" (Track 7; Anspieltip III) mit am Mikro sein. "Die Stummen" könnte vom Sound/der Machart her auch locker ein Dritte wahl Song sein?! Überraschend. Ebenso überraschend wie der etwas befremdliche Songtitel "Ernie und Bert in Guantanamo" (Track 8), der eine doch sehr fragwürdige Thematik in den Fokus zurückbringt. Man muss (was keine Seltenheit bei Slime ist) zwischen die Zeilen tauchen, um hier die Message bzw. die Frage(n) klar(er) herauszufiltern und den sinnmachenden Gedankenansatz zu verstehen. Aus dem im ersten Moment etwas befremdlichen Titel wird ein sehr intelligenter Song, der trotz teils einfacher Würze diesem Album den nötigen Bei-/Nachgeschmack mitgibt. Mit "Let's Get United" (Track 9; Anspieltip IV) bringen Slime nicht nur nach Jahren mal wieder ein anders- bzw. mehrsprachiges Stück zu Ohren, sondern wandeln damit auch auf den Pfaden von Sham 69 (die Gaststimme dürfte jede/-r Punk/-erin erkennen). Das dürfte neues Singalongfutter im Liveset  werden. 

Das grösste innerdeutsche Debakel bzgl. fremdenfeindlicher Verbrechen nach Rostock-Lichtenhagen war und ist bislang der NSU Skandal, dessen Aufklärung bis heute eher nebulös bleibt. Einen Song dazu hätte ich zwar vor Slime von OHL z. B. erwartet, aber sei's drum. Mit "Die Geschichte des Andreas T." (Track 10) gehen Slime auf ihre ureigene Weise Eckpunkte dieser Verbrechen ab, bevor es mit "Spinner" (Track 11) erneut in die Selbstreflektion geht und den Bogen ins "Hier und Jetzt" spannt und damit aufzeigt, dass die Zeit zwar eine andere ist, der Lauf aber ähnlich geblieben ist. Auch hier eher Midtempo im Dienste des Songtextes, anstatt Pogokeule. Auch "Spinner" hätte gut auf "Schweineherbst" sein können. Musikalisch moderner ausgelegt, aber mit etwas mehr Pepp, kommt "Der siebte Kontinent" (Track 12) daher und läuft mit mehr Melodikaffinität in Richtung modernen Punk Rock ins Rund dieser Zeiten. Täusche ich mich oder warum fallen mir spontan Betontod ein? 

Was mir persönlich bereits früher schon bei Slime gefiel, war der musikalische Brückenschlag zum Ska, der mit "Ich kann die Elbe nicht mehr sehen" (Track 13; Anspieltip V) eine Wiederbelebung erfährt. Dass Slime hier nach sich selbst klingen, kommt nicht von ungefähr, fühlt man sich doch teils an einen ihren bekanntesten Lieder erinnert. ;-) Damit ist der fröhlichste Song auf "Hier und Jetzt" gefunden. Erwartet hätten einen Song wie diesen sicher nicht allzu viele Leute. Clever, dass man gerade diesen Song so weit nach hinten gesetzt hat, zumal er dem Album etwas Auflockerung mitgibt und somit zwar zu Nachdenklichkeit, aber Gott sei Punk nicht in die Resig-Nation führt. Punk Rock-ig geht es nun langsam, aber zielsicher in Richtung Albumende - "Bekenntnis zu einem Paradoxon" (Track 14), dieses Stück gefällt mir textlich so gut, dass es zur persönlich-subjektiven Favoritenabteilung von "Hier und Jetzt" gehört. Bei "Schöne neue Welt" (Track 15; Anspieltip VI), bei dem es im Refrainteil erneut melodischer zugeht, klingt die zweite Stimme erneut nach Gunnar von Dritte Wahl. Insgesamt gesehen ist "Schöne neue Welt" der viefältigste, abwechslungsreichste Song auf "Hier und Jetzt", bevor der Slime-typische Lichtausknipser "Für alle Zeit" (Track 16) in zeitgemäßen Punk Rock ein echt starkes Album mit (teils witzig-) kultverdächtigem Artwork abschließt.

V.Ö.: 29.09. 

 

8,5/10 Schafe Schüsse

(People Like You Records 2.017)

http://www.slime.de/aktuell/news/

https://www.facebook.com/slimepunk/

Danny B

Schaf Schüsse: 

8
Eigene Bewertung: 8

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