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KEELE "Kalte Wände"

Künstler/Band und Albumtitel: 

Erscheinungsdatum: 

08-2019

Label: 

Genre(s): 

"Nicht mehr so jung, aber auch nicht so alt..." heißt es im Infosheet über diese 2.017 gegründete Band aus Hamburg, die sich selbst im Post Punk sieht und bereits ein Debütalbum (*"Gut und dir"; 2.017) abgeliefert hat, das mir jedoch aktuell noch komplett fremd ist. 

Ohne den Check rückwärts soll also nur das kürzlich veröffentlichte Zweitwerk "Kalte Wände" Gegenstand dieses Checkups sein, was man inhaltlich (lt. Info) als Rückblick auf das Jahr 2.018 verstehen kann. Keele selbst umschreiben das Album insgesamt als "Therapiestunde für die Backpfeifen, die das Jahr verteilt hat."

Eine gute Headline, um in den direkten Weg zum Finaldurchlauf von "Kalte Wände" überzugehen, der abermals chronologisch mit dem Opener- und gleichzeitigen Albumtitelstück "Kalte Wände" (Track 1) startet. Im Kontext mit dem Bandnamen, hätte sich hier auch das Wortspiel "Kalte Wende" regelrecht angeboten, das aber just als Randnotiz. Musikalisch kann man das, was Keele als "Post Punk" umschreiben, vom Sound her gut und gern in den von Turbostaat oder auch Pascow (übrigens Labelkollegen von Keele) inszenierten Sound grob einsortieren. Ich würde sogar sagen, dass diese Art Mucke auch Pop Punk mitführt. Nach hinten raus schimmern hierbei sogar atmosphärische "Wände" durch, die stellenweise vielleicht sogar von manchem Fliehende Stürme Song unterschwellig durchzogen sein könnten. "In dem rotierenden Karussell sitzt du fest... und es fühlt sich an wie Heimweh... doch Lügen haben laute Augen..." - starke Wortbilder, die in alle Himmelsrichtungen weisend reisen. Diesen Erstbildern folgt der fette Bassanschlag von Frederik bei "Nullpunkt" (Track 2). "Nullpunkt" haben einige unter Euch vielleicht schon gehört haben, da man diesen als Vorabsingle noch vor dem Albumrelease veröffentlicht hat. Die Refrain-Hook dürfte wohl viele Ohren aus dem sozialkritischen Meer des punkgeistigen-Gros' zu fischen imstande sein. Durchdachte, stimmige Texte, die mit der Mucke fusionieren und die sich auftürmende Welle hergeben, die es zu machen gilt. Das Alles sehr gut inszene gesetzt (bzgl. Produktion), jedoch fehlt mir dabei bislang der Ausbruchsmoment, der auch mal unkontrollierte "ich hab' die Schnauze voll"-Moment, der das A hinter den Punkgeist als Ausrufezeichen setzt. Die Grundrichtung stimmt in Sachen Navigation und geht mit "Einer von den Großen" (Track 3) weiter auf den Spuren der turbostaatlichen, pascowanischen Keelenseele. Zumindest kommt hier mal per "Nie mehr, nie mehr!" Part deutlich mehr Emotion zum Zuge - genau diese Momente sind es, die Keele noch mehr Stärke zuverleihen. Hier kommt der Alltag in deutlich zu Wort. Ob paralysierende Verlustängste, die unter "Schwarze Decken" (Track 4; Anspieltip I) kriecht und eher ruhiger Natur von sich erzählt oder auch dynamisch "Zwischen toten Nerven" (Track 5) von dem "...Herz in deiner Brust" erzählt. Alles im catchy Flow-Drive eines Stückes, das mitnimmt und live bestens ins Set passen dürfte. Anhand der Stimmfarbe könnte es auf Dauer dennoch etwas schwierig werden? Zwischen Gesang und Erzählerform bleibt man beim Wechsellauf zwischen Ebbe & Flut - "Vorstadt" (Track 6). Musikalisch bleiben Keele am roten Faden des Arrangements, von Nebengassen leider bislang wenig bis keine Spur. 

Dann lieber den etwas andersgetakteten "Panem" (Track 7; Anspieltip II). Hier gewöhnt man sich nicht nach der ersten Minute an den Lauf. Vor allem funktioniert das Ebbe- & Flutwechselspiel um einiges stimmig-flüssiger, ohne an Catchiness zu verlieren, trotz des Low-Parts der Gitarrenläufe nach hinten raus, die den Horizont malen. "Hypertonie" (Track 8) geht in ähnlich gutem Drive über den Asphalt und veräußert dabei die bislang etwas zu kurz gekommenen Stärken von Keele. Es sind letztlich besonders die authentischen Alltagsthemen, die an den Wänden dieses Albums stehen. Auch "Grenzbereich" (Track 9; Anspieltip III) weiß davon zu profitieren und wurde rein musikalisch on topic aufgebaut. Bislang aus meiner Sicht das beste Stück auf "Kalte Wände". "Kein Schmerz ohne Widerstand... seelenlos - The Walking Dead..." umreißen Keele hier nicht nur berufsbedingte Identitätskrisen, sondern umreißen eine Welt/eine Gesellschaft, die sich selbst - bzw. die eigene Identität sucht. Chapeau!

"Abendland" (Track 10; Anspieltip IV) erscheint da wie ein Hangover/Nervenzusammbruch-Querschnitt und stimmt noch nachdenklicher. Entschleunigung eines fast schon logischen Innehaltens inmitten einer Überschall-Gesellschaft. Man könnte sagen, dass "Abendland" zum "Grenzbereich" passt wie der Tag zur Nacht. Mit anderen Worten "Yin & Yang" dieses Albums, um im Finale mit "Der Weg in den Ruin" (Track 11) das Thema Spielsucht/Realitätsflucht in den Abgrund zu thematisieren und dabei musikalisch songdienlich dramatisch umrahmt auch zu berühren. Gerade auf den letzten Metern dieses Albums wurde der Alltag dieser Gesellschaft am Schopf gepackt vor den Spiegel gehalten - irgendwo "...zwischen alt und neu, zwischen falsch und erstrebenswert, zwischen Saufgelage und Fitnessstudio..." findet man den Kern der Reflektion und fragt sich am Ende sehr wahrscheinlich, ob man überhaupt ein Teil all' dessen sein möchte? Inhaltlich definitiv Punk-beseelt, musikalisch (äußerlich) irgendwo zwischen Punk-Rock/Alternative Rock winkt hier keine Keule, sondern eher eine Art musikalisches Essay mit viel Gehalt. Für mich trotz einiger Abstriche einer der Veröffentlichungen des Sommers 2.019.

7,85/10 Schafe Schüsse

(Rookie Records/Indigo/The Orchard 2.019)

http://www.keele.de/

https://www.facebook.com/keeleband/

Danny B

Schaf Schüsse: 

7
Eigene Bewertung: 7

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